Sehr geehrte Damen und Herren,
lieber Bürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer.
Im letzten Jahr war das häufigste Wort in den Einbringungsreden von Bürgermeister und Kämmerer das Wort KRISE. Ganze 33 Mal fiel das Wort bei beiden in unterschiedlichen Kontexten: Coronakrise, Hochwasserkrise, Wirtschaftskrise, Geflüchtetenkrise, Energiekrise, Inflationskrise - um nur einmal die Dauerbrenner aus dem genannten Krisenportfolio zu zitieren.
Dieses Jahr verwendeten beide den Begriff der Krise nur 12 Mal, also deutlich weniger. Stattdessen ist eine sprachliche und semantische Verschiebung feststellbar. Apokalyptische Begriffe wie "schwindelerregende Fehlbeträge", "astronomisch hohe Steuererhöhungen", "Existenzgefährdung", "Desaster" oder "finanzielle Vollkatastrophe" füllen die Ausführungen unseres obersten städtischen Schatzmeisters. Diese machen deutlich, dass wir in Hemer finanzpolitisch eine neue Dimension erreicht haben. Nämlich eine radikalisierte Fortschreibung verschiedener Krisen, deren unmittelbare Auswirkungen im städtischen Haushalt nun deutlich spürbar werden.
Dass diese sprachlichen Superlative im Negativen deutliche Spuren in unseren städtischen Finanzen hinterlassen, dürfte wohl jedem klar sein. Daher fällt der Blick auf die finanzielle Anatomie unseres Haushaltes nicht mehr nur ernüchternd, sondern extrem besorgniserregend aus.
Der HH-Ausgleich gelingt uns wie im letzten Jahr nur fiktiv. Selbst die vollständige Verzehrung der Ausgleichsrücklage und die Inanspruchnahme der Corona- und Kriegsschadensisolation reichten dazu nicht aus. Auch ein umfangreiches Sparpaket aus dem letzten Jahr im Volumen von 1,3 Mio. Euro, das dauerhaft fortgeschrieben werden musste, wirkt heute fast nur noch wie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Schließlich haben wir durch die vom Gesetzgeber eingeräumte Möglichkeit der Fortschreibung der Verlustvorträge ein wenig Luft zum Atmen bekommen. Wohlwissen, dass die Defizite nur verschoben und keineswegs aufgehoben sind. Wir alle wissen, dass wir die Probleme selbst nicht lösen können, faktisch kämpfen wir gegen einen dauerhaften Nothaushalt.
Eigentlich ist an dieser Stelle alles zum Haushalt gesagt. Eigentlich. Wäre da nicht auch ein zweiter Blick auf die inhaltliche Anatomie unseres Haushaltes, die durchaus Potenziale erkennen lässt. Ich möchte aus Sicht der CDU-Fraktion 4 Aspekte in dem vorliegenden Haushalt ausleuchten, die uns trotz verschärfter Krisensituation verhalten positiv und zukunftsorientiert stimmen lassen.
Erstens: keine Steuererhöhung in Hemer trotz klebriger Fremdeinflüsse!
Es ist uns wiederholt gelungen, in den kommenden beiden Jahren auf kommunale Steuererhöhungen zu verzichten. Für meine Fraktion war wichtig, dass wir alles unternehmen werden, diese Maßnahme zu verhindern.
Somit liegt die letzte städtische Grund- und Gewerbesteuererhebung mittlerweile 11 Jahre zurück. Eine lange Zeit, in der andere Kommunen schon längt an der Hebesatzschraube gedreht haben oder besser gesagt drehen mussten.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Luft immer dünner wird. Ob wir eine Steuererhöhung auch perspektivisch verhindern können, ist mehr als fraglich und aus heutiger Perspektive mit einer dauerhaft schwächelnden Konjunktur fast schon unwahrscheinlich. Uns bleibt nichts anderes übrig, als auf Sicht zu fahren.
Aber dafür sind wir nicht allein verantwortlich. Als Kommune, die so oder so ein strukturelles Defizit vor sich herschiebt, wiegen die Fremdeinflüsse immer doppelt schwer. Der Kämmerer bemisst die Fremdbestimmungen von außen auf unseren Haushalt auf 80 Prozent.
Hier erinnere ich noch einmal daran, dass es etwas gibt, was sich "Konnexitätsprinzip" nennt. In jeder meiner bisher 16 Haushaltsreden habe ich das übrigens getan. Irgendwie scheint dieser staatsrechtliche Grundsatz in Berlin und Düsseldorf vergessen worden zu sein. Aufgabenverantwortung und Finanzverantwortung gehören jeweils zusammen. Die Instanz, die über eine Aufgabe entscheidet, ist auch für deren Finanzierung zuständig.
Nehmen wir das aktuelle Beispiel der Finanzierung der Investitionen für den Ausbau der OGS, wenn der Rechtsanspruch für den Ganztag in den Grundschulen 2026 greift. An dieser Stelle sind in Berlin Entscheidungen getroffen worden, ohne die Finanzierungsfrage zu klären. Und auch das Land bleibt uns hier bisher eine Antwort schuldig.
Eine andere Fremdbestimmung ereilt uns jedes Jahr aus Lüdenscheid. Ich habe hier den Worten des Bürgermeisters und der Drei-K-Alliteration des Kämmerers (Kreisumlage, Kliniken, Kreisbahn) nichts hinzuzufügen. Ich kann hier nur ein ceterum censeo aussprechen und den Kreistag bitten: schaut auf eure Kommunen und helft uns!
Zweitens: unsere eigenen finanzpolitischen Hausaufgaben machen!
Dazu hat meine Fraktion bereits im vorletzten Jahr den Antrag der Installierung einer interfraktionellen "Arbeitskommission Haushalt und Finanzen" gestellt. Im letzten Jahr bildete diese AG das Fundament für ein interfraktionelles Sparpaket von 1,3 Mio. Euro. Und auch heute können feststellen, dass dieses Steuerungsinstrument ein Erfolg des fiktiv ausgeglichenen Haushaltes darstellt. Die AG war zudem bereit, noch über den HH-Plan hinausgehende, weitere Einsparvolumina (Bsp. Bücherei-Park) zu heben, um die dramatische Haushaltslage zumindest ansatzweise zu verbessern.
Alle Fraktionen haben sich hierbei konstruktiv und sachorientiert an die Arbeit gemacht. Parteipolitische Manöver wurden ausgeblendet und das Einende vor das Trennende gestellt. Oft werden politische Entscheidungen medial kritisiert, da sie durch vermeintliches Parteigeplänkel die Politikverdrossenheit erhöhen. Hier in Hemer ist das Gegenteil der Fall. Ich glaube, dass das fraktionsübergreifende Arbeiten und Miteinander beispielgebend ist. Eine ganz eigene, wertvolle Hemeraner politische Kultur. Schade nur, dass darüber so wenig berichtet wird.
Der erstmalige Doppelhaushalt kann sich zu einem weiteren neuen finanzpolitischen Instrument etablieren. Inwieweit dadurch in der Verwaltung Ressourcen geschont und die Planungssicherheit verbessert werden, müssen wir abwarten und evaluieren.
Drittens: Investieren und trotzdem Konsolidieren!
Der Investitionshaushalt bereichert das Leben der Menschen in Hemer. Die CDU-Fraktion begrüßt ein kräftiges Investitionsvolumen in Hemer, das der vorliegende Haushalt bis 2028 auf über 103 Mio. Euro (bei einer Förderquote von 40 Prozent) beziffert.
Viele dieser Positionen tragen auch die Handschrift von CDU-Anträgen: vom neuen Hallenbad über Schulgebäudeinvestitionen (Bsp. Investitionsstau am Gymnasium und ganz aktuell die Containersituation an der Realschule) und Digitalisierung (Tabletts in Schulen) bis hin zur kommunale Wärmeplanung, um nur einige Beispiel zu nennen.
Dabei möchte ich heute vor allem einmal die Investitionen in Schule und Bildung hervorheben. Wir sind in Hemer stolz über ein differenziertes Bildungsangebot in einer heterogenen Schullandschaft. Die Erfolge, die alle unsere Schulen in ihrer Arbeit jeden Tag leisten, sind leuchtende Botschafter unserer Stadt. Das belegen auch die aktuellen Anmeldezahlen für das kommende Schuljahr. Alle unsere Schulen erfreuen sich über eine große Nachfrage bei den SuS und sind in ihrer Existenz kerngesund.
Und daher ist jeder Cent hier gut angelegt. Denn: "Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung!" Dieses Zitat von John F. Kennedy soll auch in den nächsten Jahren unser Begleiter sein. Trotzdem müssen wir zukünftig bei allen Investitionen noch genauer hinschauen. Wir müssen, getreu nach dem Motto "So viel wie nötig, so wenig wie möglich", uns auch im Investitionsbereich insgesamt restriktiver aufstellen. Hier erwarten wir von uns allen (VW und Politik) eine klarere Prioritätensetzung. Dies wird im Übrigen auch rein praktisch unausweichlich sein, da wir ohnehin schon jedes Jahr enorme Investitionsvorhaben im Haushalt einfach nur vor uns herschieben.
Viertens: strategische Ausrichtung der Stadt und seiner Betriebe nicht aus dem Auge verlieren!
Der Rat hat im Oktober 2021 strategische Ziele verabschiedet. Zur Zielerreichung einer dauerhaften HH-Konsolidierung haben wir darin auch konkrete Maßnahmen hinterlegt: z. B. Senkung des operativen Defizits des SPH, Forcierung der Digitalisierung (KI wäre hier ein Stichwort), Ausbau des Wirtschaftsstandortes Hemer durch Optimierung der Rahmenbedingungen und Erweiterungsflächen. Das geht sicherlich nicht von heute auf morgen. Aber wir müssen irgendwann damit beginnen, um langfristige Erfolge zu erzielen. Hier sind Verwaltung und Politik deutlich mehr gefordert!
Auch die strategische Ausrichtung unserer Betriebe muss uns zukünftig stärker beschäftigen. Die Installierung der Zukunftskommission bei den SW war ein überfälliger erster Schritt, dem jetzt Ergebnisse folgen müssen.
Fazit
Man neigt dazu, in der Vergangenheit immer das Bessere zu sehen. Oft sagt man, wie leicht war es doch früher, als die Welt noch in Ordnung zu sein schien. Und wie einfach waren da HH-Planberatungen.
Aber ist das wirklich so? War die Welt früher einfacher, weniger komplex und sicherer? Vor einigen Wochen veröffentlichte der IKZ ein altes Foto aus dem Jahr 1974, das zur Eröffnung des Hallenbades aufgenommen wurde. Man sah auf dem schwarz-weiß-Foto eine fröhliche Hemeraner Bürgerschaft, die sich über den neuen städtebaulichen Quantensprung sichtlich freute. Jung und Alt vereint im neuen Badespaß. Und noch heute hört man viele Hemeranerinnen und Hemeraner, die aus diesem Ereignis der Hallenbaderöffnung positive und optimistische Zukunftsentwicklungen für Hemer ableiteten.
Das war 1974. Das ist jetzt 50 Jahre her. War diese Zeit denn wirklich einfacher, unbeschwerter und zukunftsoptimistischer als heute? Nein, bei genauerer Hinsicht nicht. Im Sprachgebrauch unseres Kämmerers würde man sagen, auch damals war es eine "Zeit multipler Krisen".
Die erste Ölkrise, das Sonntagsfahrverbot, der Kalte Krieg, die Watergate-Affäre, der Rücktritt des Bundeskanzlers Willy Brandt wegen der Guillaume Affaire, der Putsch in Chile und der Jom-Kippur-Krieg in Israel, in dem die arabischen Nachbarn Israel angegriffen haben. Und die Folgen der Ölkrise führten zu ebenfalls großen wirtschaftlichen Verwerfungen mit Kurzarbeit, hoher Arbeitslosigkeit und Einnahmeverlusten. – Viele Krisen, viele Parallelen zu 2024.
Aber es gab auch was Positives. Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht. Deutschland wurde 1974 im eigenen Land Weltmeister. Vielleicht passiert 2024 Ähnliches nur auf europäischer Ebene. Und in Hemer löste 1974 das neue Hallenbad einen Zukunftsoptimismus aus, der mit dafür verantwortlich war, dass unsere Stadt im Rahmen der kommunalen Neuordnung ein urbanes Selbstbewusstsein entwickelt hat und dass sich alle politischen Kräfte zusammen erfolgreich gegen eine drohende Eingemeindung gestemmt haben.
Zurück in die Zukunft. Wohin steuert Hemer? Auch in diesem Jahr wird in Hemer ein neues Hallenbad, unser Felsenmeerbad, eröffnet. Ich möchte uns jetzt keinen Sand in die Augen streuen und behaupten, dass durch das größte Bauprojekt seit der LGS alle Probleme gelöst werden. Im Gegenteil, die finanziellen Belastungen für den Haushalt sind beträchtlich. Aber die große Frage ist für mich, mit welcher Haltung gehen wir an diese für uns ungewohnt schwierigen haushalterischen Herausforderungen heran.
Ist ein Zukunftspessimismus, ein Miesmachen und Ablehnen der Verantwortung die Antwort? Oder ist es eine Haltung der Zuversicht und des Optimismus, die Herausforderungen anzugehen, egal wie schwierig sie auch sein mögen.
Hier möchte ich die Politikwissenschaftlerin Florence Gaub (Direktorin an dem NATO, Defence College in Rom) zitieren, die in einer der letzten Sendung von Herrn Precht folgendes Zitat von sich gegeben hat:
"Es ist eine Illusion, wenn man denkt, es muss alles jetzt super sein, damit auch die Zukunft super wird. Eigentlich ist es andersherum. Wenn die Gegenwart wirklich wehtut, dann kommt der Druck zu tage, der Visionen kreiert und es entstehen Impulse nach Lösungen zu suchen." Und genau deswegen stehe ich heute hier vor Ihnen und kann mit gutem Gewissen sagen, dass die CDU-Fraktion sich intensiv mit dem Haushalt 2024, den aktuellen und zukünftigen Projekten auseinandergesetzt hat. Und wir zu dem Schluss gekommen sind, dem vorliegenden HH-Plan (inkl. Stellenplan) zuzustimmen. Trotz oder besser gesagt wegen aller Krisen und Herausforderungen!
Allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung gilt genauso unser Dank für die geleistete Arbeit. Hervorheben möchte ich Bürgermeister Christian Schweitzer und die Kämmerei mit Sven Frohwein an der Spitze, die uns fortlaufend mit aktuellen Zahlen und wertvollen Informationen ausgestattet hat. Beide haben in diesen schwierigen Zeiten einen guten Job gemacht! Dafür vielen Dank!
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Ihr Martin Gropengießer
Bild und Text von CDU Hemer
Hier können Sie die Haushaltsrede von Martin Gropengießer herunterladen:
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